Online-Magazin: Top-Thema Interview

Begeisterung für die Ausbildung schaffen

Die Corona-Pandemie hat es für Unternehmen deutlich erschwert, freie Ausbildungsplätze zu besetzen. Klaus Bourdick, IHK-Geschäftsbereichsleiter Berufliche Bildung und Fachpolitischer Sprecher Bildung und Fachkräfte bei IHK NRW, beobachtet aber trotzdem nach wie vor eine große Bereitschaft zur Ausbildung bei den Betrieben. Im Interview spricht er darüber, wie junge Menschen für eine duale Ausbildung begeistert werden können und was nötig sein wird, um den Fachkräftemangel abzumildern.


Für Unternehmen ist es während, aber auch schon vor der Corona-Pandemie immer schwieriger geworden, Ausbildungsplätze zu besetzen. Ist die berufliche Bildung für junge Menschen unattraktiv geworden?

Ganz klar: Nein! Dass es für die Betriebe schwieriger geworden ist, liegt an anderen Faktoren. Die Corona-Pandemie hat die direkte Kontaktaufnahme zwischen Ausbildungsbetrieben und jungen Menschen in den vergangenen zwei Jahren erheblich erschwert – die klassischen Angebote innerhalb der Berufsorientierung, wie zum Beispiel Messen und Praktika, haben kaum stattgefunden. Außerdem sorgt unabhängig von der Corona-Pandemie der demografische Wandel dafür, dass weniger junge Menschen die allgemeinbildenden Schulen verlassen. Und diejenigen, die schließlich vor der Wahl ,akademische oder berufliche Bildung?‘ stehen, haben immer öfter die Sorge, sich mit einem Ausbildungsberuf dauerhaft auf eine Tätigkeit festlegen zu müssen. Dabei ist mit der passenden Weiterbildung auch eine attraktive berufliche Karriere möglich. Wir müssen es also schaffen, jungen Menschen noch mehr die vielfältigen Möglichkeiten einer dualen Ausbildung zu zeigen.

Welche Entwicklungen haben Sie in den vergangenen zwei Jahren beobachtet?

Grundsätzlich, das muss man so sagen, ist die Zahl der Ausbildungsverträge zurückgegangen – und das nicht nur in unserer Region, sondern deutschlandweit. Auf NRW-Ebene reden wir mit Blick auf das erste Quartal dieses Jahres von 1,3 Prozent Rückgang im Vergleich zum ersten Quartal 2021. Man muss sich solche Zahlen aber genau anschauen, denn die Corona-Pandemie hat die Unternehmen durchaus unterschiedlich stark getroffen. Die Tourismusbranche, zum Beispiel, stand vor immensen Herausforderungen. Ausbildung konnte zeitweise kaum stattfinden. Umgekehrt erleben wir aber gerade bei uns in der Region über alle Branchen hinweg eine hohe Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen.

Warum lohnt sich die Ausbildung junger Menschen für die Unternehmen noch?

Die Betriebe wissen, auch – oder insbesondere – in herausfordernden Zeiten: Junge Menschen, die heute nicht ausgebildet werden, werden in wenigen Jahren als Fachkräfte fehlen. Und die braucht die Wirtschaft dringend. Junge Menschen, die sich für ein Studium entscheiden, sollten im Blick haben, dass es keinen Arbeitsmarkt für 60 Prozent Akademiker gibt. Das ist allerdings aktuell in etwa der Anteil der Schulabgängerinnen und Schulabgänger eines Jahrgangs, die sich zunächst für die Aufnahme eines Studiums entscheiden. Man kann natürlich auch mit einem BWL-Studium die gleichen Aufgaben wie ein ausgebildeter Industriekaufmann übernehmen, aber Betriebe haben mit der Ausbildung junger Menschen die Möglichkeit, schon während der Ausbildung zu schauen, ob Nachwuchs-Fachkraft und Betrieb wirklich zueinander passen. Ist das der Fall, lernen die Azubis während ihrer Ausbildung das Unternehmen bestens kennen. Damit ist eine enge und langfristige Bindung sehr viel besser möglich als bei Fachkräften, die von außerhalb angeworben werden müssen. In Zeiten des demografischen Wandels ist das nicht zu unterschätzen. Denn dieser wird abseits der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine als Herausforderung bestehen bleiben.   

Wie unterstützt die IHK die Unternehmen?

Mit der Organisation wichtiger Projekte und Service für die Mitgliedsunternehmen. Seit vielen Jahren unterstützen unsere Azubi-Finder Betriebe bei der passgenauen Besetzung von freien Ausbildungsstellen und inzwischen auch beim Ausbildungsmarketing. Mit der Initiative Karriere-hier bieten wir außerdem gemeinsam mit unseren Partnern im regionalen Ausbildungskonsens Einblicke in reale Karrierewege junger Menschen sowie in die betriebliche Ausbildung und sprechen gezielt Eltern an, um diese mit Informationen rund um die Ausbildung zu versorgen. Neu aufgelegt haben wir das Projekt ,Ausbildungsbotschaftende‘. Dabei berichten Azubis Schülerinnen und Schülern von ihren Ausbildungsberufen und schaffen auf diesem Weg Begeisterung. Jetzt kommt es darauf an, dass wir gemeinsam den direkten Kontakt zwischen jungen Menschen und Betrieben während der Berufsorientierung wieder intensivieren.

Was muss die Politik leisten, damit die berufliche Bildung für junge Menschen attraktiv bleibt?

Da ist in der Vergangenheit bereits einiges getan worden. Wichtig ist, dass mit dem Deutschen Qualifizierungsrahmen die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung bereits festgestellt und dieses auch sprachlich mit ,Bachelor Professional‘ und ,Master Professional‘ verankert worden ist. Aber man muss auch sagen, dass noch deutlich mehr Geld in die akademische Bildung fließt als in die berufliche: Ein Studium kostet keine Gebühren, eine berufliche Weiterbildung muss hingegen bezahlt werden. Wenn man also über die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung spricht, dann muss man auch über Dinge wie die gleichwertige Finanzierung sprechen.

Wo sehen Sie die berufliche Bildung in der Zukunft?

Wenn wir über duale Ausbildung junger Menschen sprechen, dann spielen die Berufskollegs eine wichtige Rolle. Es wird in Zukunft nämlich auch darauf ankommen, dass diese sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren und Fachklassen des dualen Ausbildungssystems insbesondere im ländlichen Raum weiterhin eingerichtet werden können. Das ist wichtig, um attraktive Ausbildungsberufe in der Region zu halten, wie zum Beispiel bei uns in Region der Produktionstechnologe (m/w/d), für den eine Fachklasse in Olsberg eingerichtet wurde. Müssen junge Menschen für den Berufsschulunterreicht hingegen ins Ruhrgebiet oder ins Rheinland fahren, schreckt das sicherlich manch‘ Schulabgängerinnen und Schulabgänger davon ab, eine Ausbildung zu beginnen – und Unternehmen ebenso.

Durch den demografischen Wandel müssen wir bei dem Thema Fachkräfte aber über die Ausbildung hinaus überlegen, wie Fachkräfte gewonnen und qualifiziert werden können. Viele Betriebe haben mit der Möglichkeit der Teilqualifikation bereits erfolgreich geringer qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das eigene Unternehmen weiterbilden können. Wir werden künftig zudem über eine qualifizierte Zuwanderung sprechen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. In beiden Fällen können wir mit Kompetenzfeststellungen unterstützen und diese so sicht- und damit verfügbar zu machen. Ausbildungssysteme anderer Länder unterscheiden sich deutlich von der beruflichen Bildung wie sie die Unternehmen in Deutschland kennen. Für Unternehmen ist daher wichtig, dass sie eine verlässliche und verifizierte Aussage darüber bekommen, wie die im Ausland erworbenen Qualifikationen in unserem Arbeitsmarkt einzuordnen sind. IHKs können dies aufgrund ihrer großen Erfahrung in der Organisation der Berufsabschluss- und Weiterbildungsprüfungen.

Beruflich qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen unsere Wirtschaft stark. Deshalb müssen wir weiterhin gemeinsam mit den Unternehmen die Attraktivität der dualen Ausbildung mitsamt der Karriereperspektiven ins Rampenlicht stellen und zusätzliche Wege der Fachkräftesicherung beschreiten.